Donnerstag, 4. April 2019

Übung: Konterschulterherein, einrichten und Zügel aus der Hand kauen lassen

Auf der Messe „Reiten Jagen Fischen“ in Erfurt hatten wir mehrere Demos rund um die klassische Reiterei. Hier zeigt Claudia mit unserem Lehrpferd Taranis kommentiert von Katharina das Konterschulterherein und Zügel aus der Hand kauen lassen. Auf der Zirkellinie wird das Pferd dazu aus dem Sitz heraus kontergebogen, für einige Tritte im Konterschulterherein geritten, dann wieder auf die Zirkellinie eingerichtet und die Zügel aus der Hand kauen lassen. Dabei bietet sich auch ein Tritteverlängern an. Nach einigen Metern werden die Zügel wieder aufgenommen und mit dem Rahmen auch das Tempo etwas verkürzt, um erneut ins Konterschulterherein zu wechseln und so fort. Mit jeder korrekt gerittenen Wiederholung gelingt das Umstellen besser, das KSH wird flüssiger und das Pferd kaut die Zügel anschließend gleichmäßiger heraus. Spielerisch schult diese Übung Schub- und Tragkraft sowie geschmeidige Biegung zu beiden Seiten.
Auf den Bildern schön zu sehen: Der korrekte Drehsitz / diagonale Hilfengebung und die Dehnungsbereitschaft des Pferdes an die Hand heran. Taranis darf hier aus der Gebrauchs- in die Dehnungshaltung und zwischendurch auch ganz in die Tiefe, bevor er sich in kleinen Intervallen wiederholt etwas mehr aufrichten muss. Letzteres geschieht nahezu von selbst: Konterschulterherein hat einen versammelnden Charakter, das Pferd wird sich dabei also selbst etwas aufnehmen, um die Übung ausführen zu können. Die Nase des Pferdes zeigt physiologisch immer da hin, wohin das Vorderbein tritt: Lange Tritte – langer Hals, erhabenere Tritte – höherer Hals mit mehr Beizäumung.
Der entlastende Sitz passt in Punkto Schwerpunktvorverlagerung zur Dehnungshaltung, während in der Aufrichtung/Dressurhaltung natürlicherweise der Vollsitz mit senkrechtem Oberkörper gehört.

Viel Spaß beim Nachreiten!

Genau beschrieben ist die Übung auch im Buch „Pferde sinnvoll lösen“ 

Mehr Infos: www.klassische-reiterei.com











Mittwoch, 3. April 2019

Theorie, Geschwurbel und Praxis (von Claudia Weingand & Katharina Möller)

Theorie ist wichtig und wir sind uns sicher alle einig, dass es schlecht für alle Beteiligten ist, völlig ahnungslos mit einem hochsensiblen 500-Kilo-Tier umzugehen. Reiten ist durchaus auch Denksport und es gibt so etwa einen Regalmeter kluger Literatur, die man nicht nur besitzen, sondern auch lesen sollte. (Es gibt übrigens auch Bücher, die klappt man besser einfach wieder zu…)
Geschwurbel und Scheinwissen dagegen sind völlig unwichtig, wenn nicht schädlich.
Wie erkennt man jedoch, ob man einen fähigen Reitlehrer vor sich hat, dessen Ratschläge man sich zu Herzen nehmen sollte oder ob einen gerade ein Schwurbler zu verwirren versucht, dem man besser gar nicht weiter zuhört?
 
Der Erklärstil

Den Schwurbler erkennt man daran, dass seine Sätze bei wenig Inhalt klug klingen. Viele Allgemeinplätze werden aneinandergereiht und Zusammenhänge versucht herzustellen, die es in der Realität gar nicht gibt. Dem Schwurbler gefallen seine Gedankenkonstrukte nämlich weit besser als die reale Arbeit mit Pferden und so fällt ihm und natürlich auch Lesern/Zuhörern mit eher wenig reiterlicher Praxis vielleicht gar nicht auf, wie weit einige „tolle“ Ideen hergeholt sind.
Bittet man einen Schwurbler, einem einen Sachverhalt nochmal zu erklären, wird seine Antwort zunehmend komplizierter, was soweit führen kann, dass er der fragenden Person vermittelt oder sogar wörtlich sagt, er oder sie sei zu schlichten Gemüts oder auch in der Persönlichkeitsentwicklung noch nicht gereift genug, um des Verständnisses würdig zu sein.
Häufig tritt hier der „Des Kaisers neue Kleider“-Effekt ein: Kaum einer gibt zu, dass er den Schwurbler nicht versteht, weil dann wäre man ja selbst dumm. Darum wird genickt zu angehobenen Brustbeinen (wohin wird bitte was gehoben?), Schultern, Vertikalität, Horizontalität, Diagonalität, Spannungsbögen und was auch immer der Meister so von sich gibt. Und das Geschwurbel verbreitet sich, weil Hinz sich den einen und Kunz sich den anderen Satz eingeprägt hat und sich selbstverständlich schon der ein oder andere Funken Wahrheit in den blumigen Sätzen verbirgt, der zu dem einen oder anderen Pferd mal gepasst haben mag. In irgendeinem Halbsatz erkennt sich jeder wieder, also stimmt bestimmt die ganze Theorie…
Hinterfragen kann man die auch schlecht, denn es ist erstaunlich, wie lange Schwurbler sprechen oder schreiben können, ohne handfeste, nachprüfbare Fakten von sich zu geben. Wenn sie sich zudem nicht an allgemeingültige Fachsprache halten und definierte Begriffe der Reitlehre dann für sich umdeuten oder neue dazu erfinden, dann werden die Diskussion und die Überprüfung müßig: Der Begriff der Anlehnung wird zum Beispiel von Schwurblern synonym zu dem der Beizäumung verwendet, oder „Rahmenerweiterung“ wird plötzlich als Alternative zur Dehnungshaltung propagiert. Aha.
In mehreren Sprachen (Französisch und Deutsch z.B.)  gleichzeitig zu radebrechen ist dabei übrigens natürlich Trumpf. Reiten ist schließlich etwas ganz Elitäres, nur für Gebildete.
 
 
Die Praxis

Praxisfotos gibt’s von einer bestimmten Schwurblergattung nicht. Man kann auch im Zeitalter der digitalen Fotografie noch ganze Bücher füllen, die kein einziges Foto des Autors mit oder an einem Pferd zeigen, der einfach mal vormacht, wie er das alles so meint. Stattdessen seitenweise Illustrationen, gezeichnete Pferdchen mit massenhaft Pfeilen und bunten Linien, Vektoren und Rädern. Fotos fremder Bösewichte werden allenfalls als Negativbeispiele herbeigenommen, um dann stunden- oder seitenlang darüber zu sprechen, wie falsch die alles machen.
Eine andere Gattung Schwurbler versucht durchaus, Fotos von sich zu machen. Veröffentlicht werden darf aber nur die Piaffe, nicht etwa irgendwas mit Grundgangarten, und selbstverständlich nur, nach dem das Foto ausführlichst durch Photoshop gegangen ist (Claudia war lange in einem Verlag tätig und hat diverse Cover vor der Bearbeitung gesehen. Und dabei geht es einzelnen Autoren nicht darum, mal einen Zaun im Hintergrund wegzuretuschieren…). Von anderen Fotoshootings konnte leider kein Bild verwendet werden, weil – ups – das eigene Gereite dem Schwurbler selbst nicht genügt oder es dann doch auffallen würde, wenn man vor lauter Angst die Zügel immer 20 cm zu kurz hat. Eitel sind Schwurbler in der Regel nämlich schon. Das einzige Foto, auf dem das Schulterherein erkennbar klappt kann dann womöglich nicht genommen werden, weil der Schwurblerin ihre eigene Figur dabei unvorteilhaft vorkommt. Tja. Bleibt also Photoshop oder doch einfach gleich die Zeichnerin. Gerade Letzteres wirkt ja im Buch dann auch durchaus hochwertig!
Nur ganz ganz mutige Schwurbler schaffen es, Fotos von sich in sichtlich unpassenden Sätteln auf lahmenden Pferden mit ganz deutlichen Schmerzgesichtern zu posten, und diese Darbietung dann der eigenen Sekte als etwas Tolles zu verkaufen. Chapeau – kreativ gelöst!


Schwurbler vs. Fachmann/-frau

So, ist nun jeder, den man nicht direkt versteht oder der nicht zu jedem Thema sofort ein perfektes Foto zur Hand hat, ein Schwurbler?
Nein. Natürlich besteht die reelle Chance, dass man noch ein Wissensdefizit hat und deshalb geistig hinterher hinkt. Das ist überhaupt kein Problem, denn der Nichtschwurbler kann leicht in anderen Worten die Grundlagen erklären. Das zeichnet einen guten Lehrer nämlich aus: Dass er ein Thema auf die Grundzüge herunterbrechen kann und auf Nachfrage dennoch sachlich ins Detail zu gehen vermag.
Idealerweise hat er dazu noch die passenden „Reitgefühle“ parat, denn er doziert nicht nur irgendwas, er PRAKTIZIERT auch. Kein Reiter, der mehr als ein einziges Lieblingspferd reitet, beharrt dann auf dogmatischen Schwurbler-Gesetzmäßigkeiten wie „das Genick muss immer der höchste Punkt sein und der Zügel durchhängen“.  Nunja, das mag ja ein Zeichen für ein sehr weit ausgebildetes Pferd in hervorragender Selbsthaltung sein. Vielleicht ist das Pferd aber auch nur rausgehoben und hinter dem Zügel während die Halsbasis absinkt.
Den Unterschied kann man beim Reiten sehr deutlich fühlen und in der Theorie natürlich problemlos erklären. Außer man ist ein Schwurbler. Dann hat das irgendwas mit Karma zu tun.

Freitag, 15. März 2019

Traversalen


In der klassischen Traversale soll die Vorhand der Hinterhand vorausgehen. Was das bedeutet, warum es manchmal nicht klappt und was man dagegen tun kann, erklärt Katharina Möller:


In der Traversale soll die Vorhand der Hinterhand voraus gehen – warum eigentlich und wie erkenne ich, ob das stimmt?
In dieser Lektion soll das Pferd ja in Bewegungsrichtung gebogen und nahezu parallel zu den beiden langen Seiten des Dressurvierecks über eine Diagonale traversieren. Einen der wichtigsten gymnastischen Nutzen erreicht man jedoch nur, wenn die Vorhand sich dabei (wie in grundsätzlich allen versammelnden und versammelten Lektionen) vor dem inneren Hinterbein befindet.
Die Vorhand des Pferdes kommt also bei korrekter, klassischer Ausführung ganz leicht vor der Hinterhand am gegenüberliegenden Hufschlag an. Während der Traversale kann man das (aus Reitlehrer- und übrigens auch aus Richterperspektive) am besten von hinten beobachten: das innere Hinterbein in der Traversale muss „zwischen“ den beiden Vorderbeinen auffußen und darf keinesfalls weiter zur Seite schwingen als die Vorhand – auch wenn das spektakulärer aussehen mag. Überholt die Hinterhand dagegen die Vorhand, so haben wir dem gymnastischen Nutzen der Lektion verfehlt und verschleißen das Pferd unnötig.

Warum passiert das fälschliche „Überholen mit der Hinterhand“ bei vielen Pferden vor allem bei der Traversale nach rechts?
Aufgrund der natürlichen Schiefe kann es in der Praxis leicht passieren, dass das rechte Hinterbein seitlich „am Schwerpunkt vorbei“ fußen möchte. Das lässt sich unter anderem mit der Blinddarm-These erläutern*. Gerade um das rechte Hinterbein aufzutrainieren und damit mittelfristig das linke Vorderbein vor Überlastung und darauf resultierenden Schäden zu bewahren sollte man aber eben gerade bei den Rechtstraversalen größten Wert auf die korrekte Ausführung legen. Lässt man in der Rechtstraversale die Hinterhand überholen, reitet die Linkstraversale aber korrekt, wird die Schiefe des Pferdes schlimmer statt besser.
* Buchtipps: „Einmal überbaut, immer überbaut?“, Weingand und Welter-Böller, Müller Rüschlikon Verlag und „Gutes Training schützt das Pferd“, Welter und Welter-Böller, Cadmos Verlag

Wie bekomme ich die Vorhand in den Traversalen korrekt vor das innere Hinterbein bzw. kann ich das Überholen der Hinterhand verhindern?
Wie alle Lektionen basiert das natürlich auf dem korrekten Reitersitz und solider Grundlagenarbeit (sind die Volten grundsätzlich zu beiden Seiten hinsichtlich Längsbiegung überhaupt schon korrekt? Oft liegt da noch so einiges an Verbesserungspotential!)*.
Außerdem kennt die klassische Reiterei natürlich zahlreiche Übungsvarianten, die die Traversalen vorbereiten und verbessern können. Eine möchten wir euch heute vorstellen. Während des Übens erlangt auch der Reiter ein besseres Gefühl für die richtige Ausführung der Lektion, einen geschlosseneren und damit effektiveren Sitz und eine verbesserte Orientierung im Raum.
* Buchtipp: „Basis-Guide für feine Hilfen“ und „Pferde sinnvoll lösen“, Möller, Cadmos Verlag


ÜBUNG: Traversalverschiebungen mit Schulterherein im Wechsel
Wie ihr der Skizze* entnehmen könnt, beginnen wir zur Vorbereitung im Schulterherein und traversieren dann vom Wechselpunkt aus einige Tritte in Richtung der Mittellinie, und zwar nur genau so lange, wie das Pferd noch korrekt um den inneren Schenkel gebogen bleibt und die Vorhand noch voraus geht. In derselben Abstellung bleibend reiten wir dann einige Tritte lang auf die kurze Seite des Reitplatzes zu, so ergibt sich ein Stück Schulterherein, aus dem wir dann erneut eine Traversale ansetzen. Das Schulterherein zwischendurch erhält und verbessert ggf. verlorengegangene Biegung und sorgt dafür, dass die Vorhand jederzeit vor dem inneren Hinterbein bleibt.
Im Anschluss bitte immer wieder die Zügel aus der Hand kauen lassen und Tritte verlängern, zum Beispiel an der gegenüberliegenden langen Seite wie skizziert. Das ist wichtig, um ausgeglichen Schub- sowie Tragkraft zu trainieren und Verspannungen vorzubeugen.

Viel Spaß beim Üben!

*entnommen aus dem OsteoDressage Onlinekurs „Seitengänge“, Unterrichtseinheit 3. Dort gibt es diese Übung in bewegten Bildern.


WEITERE INFOS, Kurse & Trainerausbildung:


Donnerstag, 27. April 2017

Pferdetraining zwischen Ergebnis- oder Methodenorientierung

Ich beobachte im Pferdetraining (und soweit ich das überblicke auch im Hundetraining) heute vermehrt extreme Einstellungen.

Da haben wir die einen, die sich ausschließlich am Ergebnis des Trainings orientieren. Hauptsache, das Pferd funktioniert, egal unter welchen Umständen es trainiert wurde. Je schneller das erwünschte Ergebnis erreicht ist, desto besser. Und je widriger die Umstände, unter denen das Pferd trotzdem noch brav funktioniert, desto beeindruckender. Der Zweck heiligt jedes Mittel, und auf jede Kritik an der Arbeitsweise wird ausschließlich auf das erfolgreiche Ergebnis verwiesen: Wie brav das Pferd binnen weniger Einheiten vollkommen „liberty“ ein komplettes Programm abspult, sich in eine Plane einwickeln lässt oder wie das Pferdekind durch die Dressurpferdeprüfung strampelt und am Ende die goldene Schleife holt. Der Erfolg gibt einem schließlich Recht, und wer die Trainingsweise kritisch sieht, hört als erstes das Totschlagargument, dass man nicht mitreden kann, wenn man noch kein goldenes Reitabzeichen in der Tasche oder noch keinen echten Mustang gezähmt hat.
Ein „guter“ Trainer macht ein Wildpferd in 90 Tagen zum totbraven Freizeitkumpel für die möchtegern Wendy von nebenan, ein „guter“ Reiter reitet jedes Jahr Bundeschampionat mit Drei- und Vierjährigen. Selbst im Freizeitbereich heiligt der Zweck offenbar jedes Mittel: Da werden Kurse zum Selberanreiten in vier Tagen verkauft, nach denen das vorher nur halfterführige Pferd garantiert alle Grundgangarten unterm Sattel gehen soll oder Problempferde werden in nur einem Monat Beritt „korrigiert“. Hinter verschlossenen Türen natürlich, aber macht ja nichts, hinterher noch schnell ein Video vom Ergebnis gedreht und die Kundschaft feiert. Gewissermaßen gehört das ja zum Konzept: Das Pferd „zieht“ in den paar Minuten der Turnieraufgabe oder auf dem Verkaufsvideo umso besser nach vorne und strampelt herausragender mit den Beinen, je kürzer man es zuvor im Hals gemacht hatte und je elektrischer man eben noch das Hinterbein angepiekt hat. Zwingt man dem Westernpferd mit der Reininghilfe (auch bekannt als Schlaufzügel) systematisch den Kopf herunter, dann bleibt der da auch, wenn man dann für das Video den ach so sanften Halsring auspackt. Und lange wallende Kleider sind sowieso sehr praktisch, da sieht man nämlich die großen Sporen nicht.
Ein Monat Beritt oder ein paar Tage Kurs sind für den Besitzer natürlich auch deutlich billiger als zwei Jahre Grundausbildung. Man will als Kunde letztendlich einfach sorglos drauflos reiten und kein Vermögen ausgeben. Oder wenn, dann muss das Pferd dafür aber mindestens piaffieren. Selbst wenn das geschundene Pferd auf dem Zahnfleisch geht, Hauptsache es geht! Und kann es nach einigen Monaten oder Jahren derartigem Gerittenwerden kaum mehr krabbeln, dann taugt es immernoch für die Zucht. Oder man nimmt einem netten Freizeitreiter noch ein paar Euro ab für das ach so totbrav funktionierenden Kumpel. Erholt sich das Tier dann bei guter Pflege und nettem Umgang, sodass es überraschenderweise zum aufmucken reicht, wird es nochmal zum einnorden gebracht – ist doch toll, wie es danach wieder so brav funktioniert, oder?

Dagegen beobachte ich aber auch ein anderes Extrem: Die Leute, bei denen es alleine um die Methode ihres Trainings geht: Ausschließlich die positive Verstärkung mittels Clicker und (Futter)lob darf genutzt werden. Druck ist schrecklich böse, alles muss (ich betone, es muss!) auf Freiwilligkeit beruhen. Das Tier darf weder gelockt noch geschoben werden – am besten man fasst es überhaupt gar nicht erst an, sondern arbeitet mittels free shaping. Das Ergebnis rückt manchmal völlig in den Hintergrund, Hauptsache man arbeitet methodisch sauber positiv und nutzt nicht etwa Teufelszeug wie Zug am Stallhalfter oder Schenkeldruck. Da gibt es massig Techniken zu lernen mit komplizierten englischen Begriffen, nach denen man schier süchtig werden kann. Das positive Training macht den Trainer oder Besitzer offenbar so froh, dass dieser nur um des Trainieren willens trainiert. Das Tier kann eine Pylone dann auf zwölf verschiedene Arten umkippen, und das hat ja noch keinem geschadet, oder. Ethisch und moralisch ist so ein „guter“ Trainer allen anderen Arbeitsweisen haushoch überlegen, denn die anderen sind tiefschwarze Pferdeunterdrücker und Folterknechte aus dem letzten Jahrtausend. Man kann sich dafür feiern lassen, dass man einen Film draus macht, wie man versucht, das 15 jährige Pferd total freiwillig über einen Grasweg zu führen und eben nicht (!) am Strick den Kopf vom Grasen abhält, sondern das freiwillige Heben desselben mit höherwertiger Futterbelohnung bestärkt. Dass man nirgendwo jemals ankommt ist völlig egal, denn ein echter Positivtrainer reitet konsequenterweise sowieso nicht und nötigt das Pferd auch sonst zu nichts, wäre doch alles unnatürlicher Zwang. Natürlich kann und muss man trotzdem zig Kurse belegen, denn erstens haben wir doch die moralische Verpflichtung zur Weiterbildung, zweitens ist das geilste an so einem Kurs, sich gegen die Negativen abzugrenzen. Im Endeffekt zahlt man die Kursgebühren gerne, einfach für das gute Gefühl, mit seinem Pferd GUT umzugehen. Wenn dabei kein Ergebnis herauskommt, ist das umso besser, denn so kann man sich und allen anderen noch einmal extra beweisen, was für ein guter Mensch man ist, dass man eben nicht den eigenen Ehrgeiz auf dem Pferd abläd, sondern es halt dann auch konsequent nicht aufhalftert, wenn es an dem Tag nicht freiwillig mitmacht.

Und wo bleibt die Mitte? Wo sind die Leute, denen die Methoden nicht egal sind, aber die eben doch auf ein bestimmtes Ergebnis hin trainieren? Ich persönlich habe für jegliches Training grundsätzlich auch ein Leben lang Zeit, bin gut ausgebildet, was Verstärkung von Verhaltensweisen und Training angeht. Darin will ich auch ständig immer besser werden, und gebe dafür gerne und viel Geld aus. Dass es nicht um „einfach zackig reiten und das Pferd hat zu funktionieren“ geht, ist mir eine Herzensangelegenheit. Ich sehe meine Beziehung zu meinen Tieren partnerschaftlich, lehne Kinderarbeit ab, trainiere sehr viel vom Boden aus, bremse beruflich den Ehrgeiz von „Viel- und Frühreitern“. Aber, jetzt kommt’s. Ich reite tatsächlich total gerne, auch in flotten Gangarten und anstrengenden Lektionen und selbstverständlich immer dort hin, wo ich hin will. Ich überlege sehr genau, was ich einem Pferd reiterlich zumuten möchte und wie es sich fühlt, habe aber moralisch überhaupt kein Problem damit, dabei dann eine Gerte in der Hand zu halten. Ich mache keinen Aufriss um den alltäglichen Umgang wie das Anziehen eines Halfters oder das Mitkommen von der Weide, dafür aber um die Wahl des Sattels beispielsweise. Ich trete zwar meinen Tieren nicht wortwörtlich in den Allerwertesten, aber dafür sprichwörtlich mir selber und meinen Reitschülern. Wir kriegen an manchen Stellen der Ausbildung definitiv ziemlich sportlich den Hintern hoch und arbeiten ganz ohne Kekse an uns selbst. Das Ergebnis darf dauern, auch monate- und jahrelang, und es darf für und mit jedem Pferd individuell angepasst werden, aber ich strebe eben doch danach, dass ich mein Pferd sicher und zuverlässig reiten kann und trainiere einen Freizeitpartner für jede Lebenslange, der im Endeffekt eben auch im Gelände, auch in der Öffentlichkeit, auch unter anderen Reitern (!) ganz unspektakulär macht, was ich möchte. Wenn ich das wiederum korrekt ausbilde und geschickt trainiere, dann macht das Pferd das zwar ohne Goldmedaillie und nicht in Rekordzeit, aber mit Freude und als selbstbewusster Mitarbeiter. Und das klappt dann eben nicht nur in schöner Theorie, sondern auch ganz praktisch mit vielen verschiedenen Pferden im echten Leben.

Katharina Möller
www.klassische-reiterei.com
www.longieren-als-dialog.de

Donnerstag, 25. August 2016

Arbeitslos.....

Gestern war ich abends mit meinen Hunden unterwegs und habe dabei im Feld zwei Reiter getroffen. Erst habe ich mich gefreut (ich kann nicht anders, ich mag einfach Pferde). Ihre Silhouetten sahen allerdings schon von weitem schmerzhaft aus. Das eine Pferd biss sich in die Brust, das andere trug die Nasenspitze konstant auf Höhe seiner Ohren – so hoch es das Martingal erlaubte, was ich beim Näherkommen dann erkennen konnte.

Die beiden kamen auf einem parallel verlaufenden Weg schräg auf mich zu. Der mit Gamaschen, Sprungglocken, Streichkappen, Vorderzeug und Pelham wie für den großen Preis ausstaffierte Schimmel ging im Pass, während der ebenfalls voll ausgerüstete kleine Sterngucker trabartig tänzelte. ESKADRON, stand in riesen Lettern diagonal auf den Schabracken.
Ich guckte weg, rief meine Hunde heran, dann guckte ich doch wieder hin. Die beiden waren fast neben mir, ich wollte wenigstens höflich grüßen. Ich sah zu den Reitern auf. Zwei Jungen im Alter von etwa vierzehn Jahren hockten beide bucklig im Stuhlsitz (wie kann man in so jungen Jahren nur solche Buckel machen?), in kurzen Hosen, selbstverständlich ohne Reithelm. Sie grüßten nicht zurück. Mein letzter Blick fiel auf die Sporen, befestigt an ihren Turnschuhen, und die Löcher im Fell des Schimmels.

Hätte mich an diesem Abend jemand gefragt, was ich beruflich mache, hätte ich geantwortet: „Arbeitslos. Ich bin arbeitslos.“

Mittwoch, 6. Juli 2016

So ein Hund ist auch nur ein Pferd. Oder?

Am vergangenen Wochenende war ich mich Fortbilden. Dabei habe ich nicht nur über den Tellerrand geschaut, sondern habe den sprichwörtlichen Teller gleich gegen eine Tasse getauscht und dabei viel über Geschirr als solches gelernt. Aber von Anfang an:

Ich war beim Seminar „Emotionen verstehen, Verhaltensprobleme lösen“ von Madeleine und Rolf C. Franck, welches sich nicht um Pferde, sondern um Hunde drehte. Die beiden betreiben die Hundeschule „Blauerhund“ in der Nähe von Bremen, bieten professionelle Verhaltensberatung für Hunde an, sind Autoren zahlreicher Fachbücher und überregional zu Seminaren unterwegs. Neben ihren überzeugenden fachlichen Qualifikationen habe ich die Familie Franck außerdem als sehr nette Menschen und witzige, kurzweilige Referenten kennen gelernt.
Wieso ich mich zu diesem Seminar angemeldet habe? Erstens mag ich einfach Hunde und interessiere mich für Hundeausbildung und wir haben natürlich auch selbst welche (welcher Reiter hat keine?!).  Ich habe an diesem Wochenende zahlreiche praktische Anregungen und Trainingsansätze für meine eigenen Hunde mitgenommen und verstehe nun auch rückblickend das „Problemverhalten“ vieler Hunde besser, die mir in meinem Leben schon so begegnet sind.

Zum anderen ist aber gerade auch als Pferdeausbilder die Herangehensweise der beiden Hundetrainer höchst interessant. Damit meine ich nicht (unbedingt) die „technische“ Seite des Trainings oder die üblichen Verhaltensprobleme, die Hunde in ihrem Alltag so haben können, denn ich kenne zum Glück kein Pferd, was beim Springen nervtötend zu bellen beginnt und auch keines, was ungefragt Autos hetzt.
Um was es geht: Nach dem EMRA (emotional moodstate + reinforcement assesment) Modell werden die Emotionen in der Problemsituation und der Erregungszustand des Tieres beleuchtet. Außerdem werden die allgemeine Stimmung, das „Wohlfühlbudget“ und seine zu befriedigenden Bedürfnisse und die individuell wirkenden Verstärker eingeschätzt, wobei oft das Gefühl der „Erleichterung“ eine zentrale Rolle spielt.

Dem ESTA-Ansatz (emotional systems therapeutic application)  zur Behandlung der Probleme liegt die Emotionstheorie nach Panksepp mit den Systemen Angst, Panik, Wut, generelle Motivation (Seeking), Fürsorge und Spiel zugrunde. Durch Beeinflussung dieser Systeme ergibt sich ein Rahmen zur Behandlung von Verhaltensproblemen.
Bei dieser Betrachtungsweise werden also nicht stumpf Symptome unterdrückt, sondern man versetzt sich in das individuelle Tier hinein und bemüht sich, seine Beweggründe zu verstehen.

Die Planung von praktischen Maßnahmen dreht sich in meinen eigenen Worten ausgedrückt um die Fragen: Wie fühlst du dich, was brauchst du, was fehlt dir? Was muss ich organisieren, damit du deinen Job für mich gut und gerne machen kannst? Wie lernst du LEICHTER, wie bewegst du dich leichter, was fühlt sich für dich leichter an? Oder aber wieso platzt dir der Kragen? Anstatt: Dir hat gefälligst der Kragen nicht zu platzen.
Manche der für Hunde vorgestellten Maßnahmen sind dann ganz simpel, wie etwa der Zeitpunkt der Fütterung, ein anderer Schlafplatz oder ein geringfügig geändertes Timing im Training. Manches sind Dinge, auf die man wirklich hätte selber kommen können. In anderen Fällen mussten mir aber wirklich erst die Augen geöffnet werden und die Faktoren sind vielschichtig.

Kommt uns das nicht ziemlich bekannt vor? Auch in der Pferdeausbildung entscheiden oft Kleinigkeiten über Erfolg oder Misserfolg des Trainings. Oft hilft uns der gesunde Menschenverstand, an anderer Stelle müssen wir als Reiter aber wirklich auch über unseren menschlichen Schatten springen und entgegen reflexartiger Verhaltensweisen handeln. Oft haben die „Altvorderen“ Recht, und man versteht im Nachhinein erst, wieso und wie sehr. Andere alte Zöpfe dagegen gehören abgeschnitten, weil es heute einfach neue Erkenntnisse gibt und die Lage des Freizeitpferdes einfach eine völlig andere ist als die des früheren Kriegspferdes beispielsweise.
Ich halte seit letztem Jahr das Seminar „Fütterung und Haltung im Hinblick auf die Losgelassenheit des Reitpferdes“ und es trägt den inoffiziellen Untertitel: „Ich kann so nicht arbeiten“. Wir thematisieren dabei diverse Faktoren aus dem Lebensumfeld des Pferdes, analog zum  „Wohlfühlbudgets“ aus dem Hundeseminar. Wenn gewisse Dinge in der Fütterung und Haltung schief laufen, ist losgelassenes Reiten schlicht nicht machbar.

Außerdem habe ich kürzlich eine Fortbildung zum Thema Prävalenz- und Palpationsdiagnostik von Gastrointestinalerkrankungen besucht (bei Constanze Röhm – auch sehr empfehlenswert!) und auch hier hat mich besonders fasziniert und weitergebracht, wie viele Faktoren aus dem gesamten Leben eines Pferdes man untersuchen sollte und wie exakt man Dinge tatsächlich messen, aufschreiben und zueinander in Beziehung setzen sollte.
Die Herangehensweise liegt mir also und das Hundeseminar hat in meinen Pferdeverstand einige Teile zusammengefügt, die ich in meiner praktischen Arbeit erlebe und mit einigen interessanten Fakten verknüpft, die ich aus anderen Fortbildungen oder der Literatur kenne. Es hat mir gezeigt, wo in meiner Arbeit mit Pferden noch Luft nach oben ist und ich habe mehrere Ideen mit nach Hause gebracht, welche Zusammenhänge ich recherchieren sollte. Sehr gerne würde ich mich dazu auch mit einem Pferdewissenschaftler austauschen (hat jemand Zeit und Lust?).

Besonders interessant ist dabei für mich zunächst die Sache mit der Angstentstehung und -Übertragung, wofür ich ein „perfektes Beispiel“ in meinem Ausbildungsstall stehen habe.
In der Zwischenzeit möchte ich euch das EMRA-Buch „Emotionen einschätzen, Hunde verstehen“ empfehlen (welches ihr hier bestellen könnt: http://www.cadmos.de/emotionen-einschaetzen-hunde-verstehen.html ).  Das Foto zeigt ein „Koordinatensystem“, in dem die Emotionseinschätzung aus einem Fallbeispiel eingetragen wurde.

Außerdem kann ich jedem Hundebesitzer (auch ohne „Problemhund“) und tatsächlich auch Reitern (mit genügend Vorbildung und Wille zum Verknüpfen – denn inhaltlich geht es dort natürlich nicht um Pferde!) die Teilnahme an dem Seminar bei Familie Franck empfehlen. Es findet dieses Jahr noch einmal statt, Informationen findet ihr unter www.blauerhund.de
Das Fütterungs- und Haltungsseminar bei mir findet nächstes Jahr im Mai wieder statt, Termin und Details findet ihr auf meiner Webseite www.andenhofstaetten.de

Ich wünsche euch viel Freude mit euren Vierbeinern, frohes Forschen und viel Fühlen! Bis bald!

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 P.S.: Was ich sonst noch gemacht habe, quasi privat:

- Während eines offenbar traumatischen Fußball-Länderspiels in aller Ruhe mit meinem jungen Hund Bo spazieren gegangen, ohne eine Menschenseele zu treffen, auch im Ort und im Hotel nicht.
- Als Fahranfänger Ferrari gefahren (mit einem Profi-Bodercollie durch einen Agility Parcours gelaufen. Fazit: Ich bin zu langsam, zu schusselig und irgendwie nur den Wendekreis eines Traktors gewohnt. Aber hey, etwas ganz neues zu machen, was man ausgesprochen nicht kann, soll ja den Horizont erweitern. Sorry, Panda. Und danke!)

- Überhaupt auf einem Hundeplatz gewesen (keiner hat rumgebrüllt, Überraschung!) und Hundesportlern zugesehen. Meinen Respekt für diese Leistung – sowohl als Trainer (muss man dem Hund ja erstmal alles begreiflich machen), als auch den Hunden (der Hammer, was die alles verstehen und dann auch noch MACHEN WOLLEN).
- Cavalettitraining mit Bo begonnen. Muss weiterverfolgt werden.

- Findus vermisst (der beste Hund der Welt brauchte selbstverständlich kein Problemseminar).
- im Hotel beim Frühstück von der Chefin begrüßt werden „Ist alles recht - oder muss ich Tee kochen??“

- Und, vor allem und ausdauernd: Welpen gestreichelt. Senkt auch meinen Blutdruck und lässt meinen Serotoninspiegel steigen. Und bestimmt auch mein Oxytocin. Also ganz klares Plus in meinem Wohlfühlbudget.  Und Kaninchen, fällt mir da gerade ein. Tolles Wochenende.

Samstag, 20. Februar 2016

Reiten als Schule der Menschlichkeit und Empathie

Die Welt brennt.  In meinem eigenen Land gehen Dinge vor sich, zu denen mir nicht viel einfällt.
Und ich, ich gehe einfach zum Reitkurs.

"Trotzdem!",  koennte man sagen. "Du willst wohl so tun, als ginge dich Alles nichts an", könnte man sagen.
Aber ich weiss, dass es mich sehr wohl sehr viel angeht,  was mit der Menschheit und unserer Gesellschaft vor sich geht.  Ich weiss, dass wir alle aufstehen müssen, anpacken, was "positives" auf die Beine stellen, an allen Ecken und Enden der Welt, jeden Tag aufs Neue.
Und hier kommt der Reitkurs ins Spiel. Reitkurs ist nunmal meine Baustelle.
Ich sehe mich ja als Pädagogin, denn ich bilde ja nicht nur "technisch" aus, was man beim reiten so "macht", sondern es geht um viel viel mehr:
Reiten, echtes, "klassisches" Reiten ist eine Schule der Menschlichkeit, der Demut und der Toleranz,  und vor allem auch der Empathie. Das sind doch DIE Eigenschaften, die wir als Gesellschaft brauchen, die wir üben und verstärken sollten.
Will ich ehrlich reiten, muss ich anerkennen,  dass ich ein kleines Licht bin (weil ich bitte bitte sagen muss, damit ein riesen Tier mich trägt und nicht umbringt) und gleichzeitig eine grosse Leuchte (weil alles was ich tue, denke, sage tatsächlich eine unmittelbare Wirkung hat!). Ich übernehme Verantwortung für mich und ein Tier und sein ganzes Leben. Und das ist interessant und schwierig, weil das Tier so ANDERS ist als ich Mensch. Ich muss es verstehen lernen. Verstehen wollen - in seiner Eigenschaft als Pferd prinzipiell,  aber eben auch jedes Pferd in seiner Einzigartigkeit,  seiner Seele.  Ich verbringe also die meiste Zeit damit, das Pferd zu fragen, wie geht es DIR?
Was denkst und fehlst du denn, wenn ich beim reiten jetzt mal dasunddas soundso mache. Ich versetze mich in ein anderes Wesen hinein, um mit ihm kommunizieren und zusammen arbeiten und lernen zu können. Je mehr ich das Pferd berücksichtige, desto besser kann ich reiten!
Ich verstehe es auch laengst nicht immer, und so lerne ich: man muss auch nicht immer alles und jeden gleich verstehen. Trotzdem kann man sich mögen und wertschätzen!
Wer begriffen hat, dass es nicht um Macht geht, bei dem GEHT es auch nicht (mehr) um Macht.
Wer geübt ist, sich Ängsten zu stellen, wer geübt im Mitgefühl ist, wer Respekt vor der Schöpfung hat, wer auf ein anderes Wesen zugehen kann, der bereichert auch jede menschliche Gesellschaft.